Tinnitus (allgemein)
Generelles
Ein Tinnitus ist ein Ohrgeräusch, welches in der Regel nur vom Patienten selbst gehört wird. Es kann als Pfeifton, Rauschen, Summen oder anderes Geräusch in Erscheinung treten. Tinnitus ist ein Symptom und keine eigenständige Erkrankung.
Sehr häufig tritt Tinnitus im Rahmen einer Ohrerkrankung mit oder ohne Hörverlust auf. Aber auch andere Ursachen, wie z.B. eine Kiefergelenksproblematik oder ein HWS-Syndrom, können auslösende Faktoren sein.
Meistens handelt es sich um einen fehlerhaften Sinneseindruck, welcher häufig ohne äußere physikalische Reize durch eine Fehlcodierung akustischer Informationen entsteht. Die auslösende Ursache für den Tinnitus wird oft nicht gefunden, so dass der Weg einer kausalen Therapie verschlossen bleibt.
Die Prognose eines neuaufgetretenden Tinnitus ist insgesamt sehr gut. In vielen Fällen verschwindet der Tinnitus nach einer gewissen Zeit (einige Wochen) von ganz alleine wieder.
Tinnitus kann bei ausbleibender Habituation einen ernsthaften psychologischen Distress nach sich ziehen und zu hohem Leidensdruck führen. Durch die Kenntnis des Betroffenen, dass äußere Reize fehlen, kann es zu Beunruhigung und Bedeutungssteigerung mit nachfolgender sekundärer Beschwerdeverstärkung kommen. Hierzu zählen insbesondere Schlaflosigkeit aber auch Angstzustände und depressive Verstimmung. Schätzungsweise 10 – 15 % der Bevölkerung leiden unter einem Tinnitus.
Unterscheidungskriterien
Generell kann man Tinnitus anhand unterschiedlicher Kriterien unterscheiden:
• Zeitverlauf
• Geräusch-/Klangqualität
• Objektivität
• Kompensation
• mit und ohne Hörverlust
• Entstehungsmechanismus/Ursache (Ätiologie)
• Begleitsymptom ⇔ eigenständiges Krankheitsbild
Bei dem Zeitverlauf unterscheidet man einen akuten Tinnitus mit einem Bestehen von weniger als 3 Monaten von einem subakuten (3-6 Monate) und einem chronischen Tinnitus (länger als 6 Monate).
Bezogen auf die Geräuschqualität kann man zwischen einem tonalen und einem nicht-tonalen Tinnitus unterscheiden. Im Falle eines tonalen Tinnitus hört der Patient einen Ton oder ein Frequenzband, was meistens als Pfeif- oder Piepston empfunden wird. Er kann auch als Klingeln oder Summen auftreten. Der nicht-tonale Tinnitus bezeichnet eine Gruppe sehr unterschiedlicher Tinnitusphänomene. In den meisten Fällen handelt es sich um ein Rauschen, aber auch andere Geräusche wie Brummen, Surren, Knacken, Knistern und Rumpeln sind möglich. Ferner kann man insbesondere tonalen Tinnitus anhand seiner Frequenz einteilen in hoch-, mittel- und niedrigfrequenten Tinnitus. Mehrere Tinnitusformen können auch nebeneinander bestehen.
Ein weiteres Kriterium für die Unterscheidung ist die Objektivität. Die allermeisten Tinnitusphänomene sind rein subjektiv, d.h. nur vom Patienten wahrnehmbar. Sehr selten tritt sogenannter objektiver Tinnitus auf, welcher auch für den Untersucher bzw. Andere zu hören ist. Diese Tinnitusform ist von rein organischer Ursache und meist durch rhythmische Kontraktionen der benachbarten Muskulatur oder Strömungsgeräusche in Blutgefäßen bedingt.
Das Klassifikationskriterium Kompensation bezieht sich auf den Leidensdruck des Patienten. Bei nur geringem Leidensdruck bezeichnet man den Tinnitus als kompensiert, hingegen bei hohem Leidensdruck als dekompensiert.
Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal für Tinnitus ist das Vorliegen eines begleitenden Hörverlustes. Tinnitus entsteht häufiger bei eingeschränktem Hörvermögen, wobei die Tinnitusfrequenz fast immer der Frequenz des größten Hörverlustes entspricht. Dies ist insbesondere typisch bei hochfrequentem Tinnitus als Begleitsymptom einer Hochtonschwerhörigkeit wie sie im Alter häufiger auftritt.
Die Unterscheidung der Tinnitusformen aufgrund ihrer Entstehungsmechanismen ist schwierig und nicht immer durchführbar. Tinnitus kann nach meiner Einschätzung an folgenden Lokalisationen entstehen:
äußeres Ohr - Mittelohr - Innenohr - Hörnerv - Hörbahn/Kortex (Gehirn) - Nachbarstrukturen des Ohres wie z.B. Muskeln, Sehnen/Bänder und Blutgefäße - Kiefergelenk - Halswirbelsäule
Ursachen
Einfluss auf die Entstehung, die Verstärkung und das Fortbestehen von Tinnitus haben primär oder sekundär:
• Hörvermögen ⇔ Hörverlust
• degenerative Veränderungen
• gestörte Balance zwischen inhibitorischen (hemmenden) und exzitatorischen (erregenden) Signalen auf der Ebene von peripheren und zentralen Schaltstellen der Nervenfasern der Hörbahn
• Ischämie und Hypoxie (Durchblutung und Sauerstoffmangel)
• akustische und kognitive Habituationsfähigkeit
• Komorbiditäten (Begleiterkrankungen) wie z.B. Depression und Angststörungen
• Kiefergelenkserkrankungen wie z.B. bei CMD, condylärer Hypermobilität und Malokklusion
• Mittelohrbelüftung
• Entzündungsgeschehen/Infektionen
• endolymphatischer Druck
• Distress (negativer Stress)
• Sympathikotonus (vegetatives Nervensystem)
• funktionelle Einschränkungen insbesondere der oberen Halswirbelsäule (C1-C3)
• genetische Disposition
• raumfordernde Prozesse des Hörnerven
• Blutdruck
• internistische Erkrankungen
• Medikation (z.B. ASS, Betablocker, Diuretika, Antidepressiva)
• Genuss-/Rauschmittel
Ein wichtiger Hinweis auf die Entstehung des Tinnitus liefert der Umstand unter dem der Tinnitus das erste Mal auftrat bzw. die Problematik infolgedessen er entstand.
Beispiele:
• nach einem Lärmtrauma: Haarzellschaden (Sinneszellen)/ Innenohr
• nach einem HWS-Schleudertrauma: vertebragen/HWS
• bei langsamer Entwicklung einer Altersschwerhörigkeit: Innenohr ⇔ Hörnerv ⇔ Hörbahn/Kortex (Gehirn)
Modulation
Auch die Modulation (Beeinflussbarkeit) eines Tinnitus spielt eine große Rolle und gibt meines Erachtens einen deutlichen Fingerzeig in Richtung der Ursache.
Beispiele:
• Verstärkung oder Abschwächung bei bestimmter Kopfhaltung: vertebragen/HWS
• Verstärkung oder Abschwächung beim Zubeißen oder beim Vorschieben des Unterkiefers: Kiefergelenk/CMD
• Verstärkung nach Distress (negativer Stress) und Belastungssituationen: Hörbahn/Kortex ⇔ Sympathikotonus ⇔ Komorbiditäten ⇔ endolymphatischer Druck
Die Aufgabe des HNO-Arztes besteht in der Abklärung der auslösenden oder unterhaltenden Ursachen und der Einleitung einer geeigneten Therapie.
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